Glamour, Glitzer, Stars und Sternchen, Leonardo di Caprio, Martin Scorsese und viele mehr live in Berlin auf dem roten Teppich. Das ist die Berlinale, und so lieben wir sie. Aber das ist nur ein Teil der Berliner Filmfestspiele. Es gibt auch einen weniger glamourösen, ruhigeren Teil. Und für diesen braucht man nicht immer viele Worte – wie im richtigen Leben. Aber ganz ohne Worte? Und nicht im ironischen Sinne, sondern tatsächlich ohne einen einzigen Dialog, eineinhalb Stunden lang? Ja, liebe Kinogänger, das erwartet Euch beim Berlinale Forums-Beitrag „Double Tide“ von der Amerikanerin Sharon Lockhart, die sich, wie auch in ihren drei vorherigen Filmen, mit dem Thema „Arbeit“ beschäftigt. Der Inhalt ihres aktuellen Streifens ist schnell erzählt: Eine Muschelsammlerin watet bei Ebbe durchs Watt, zieht ihren schweren Arbeitskarren hinter sich her, und sammelt Muscheln. 45 Minuten lang morgens bei Sonnenaufgang und 45 Minuten lang abends bei Sonnenuntergang. Ein Gesicht erkennt man nicht. Die Arbeit scheint wirklich anstrengend zu sein: für jede Muschel muss sich die Sammlerin bücken, ihren Arm ins Watt bohren, und mit einem schmatzenden Geräusch die Muschel schnappen und in den Korb legen. Währenddessen verändern sich die Lichtverhältnisse, die Frau schleppt und das Watt schmatzt und sie schleppt und es schmatzt. Als Highlight läuft plötzlich ein Wasservogel ins Bild und die Vögel zwitschern.
Double Tide (Quelle: berlinale.de)
Es dauert eine beträchtliche Weile, um sich mit dieser Atmosphäre anzufreunden. Man rutscht auf dem Kinosessel hin und her, schwankt zwischen Kino verlassen und Film zu Ende schauen. Aber wer Sitzfleisch bewiesen hat, wird belohnt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem der Film plötzlich etwas Beruhigendes, ja Romantisches hat. Ein bisschen wie eine Kaminfeuer DVD. Man schaltet ab vom hektischen Alltag und lässt sich plötzlich auf das ein, was da auf der Leinwand passiert. Man entwickelt von Minute zu Minute mehr Liebe fürs Detail. Man sieht, wie sich die Bäume im Licht verändern; man nimmt Tropfen wahr, die in Pfützen fallen und Kreise ziehen. Und kaum hat man sich darin verloren und die Hektik des Alltags vergessen, verlässt die Frau das Bild, als ob sie aus dem Rahmen eines Gemäldes einfach rauslaufen würde. Dann ist alles dunkel. Zaghaftes Klatschen, wie es bei den Berlinale Vorstellungen üblich ist.
Es fühlt sich an, als wäre man aus einem Traum aufgewacht. Aber es war kein Traum. Und das Kino war sogar noch gefüllt. Nur vereinzelt haben Besucher den Saal verlassen. Die meisten warten tatsächlich noch gespannt auf die Regisseurin und die Darstellerin, die im Anschluss an die Vorführung ein öffentliches Interview geben sowie für Zuschauer-Fragen zur Verfügung stehen, wie es bei den Berlinale Aufführungen Usus ist. Die Muschelsammlerin ist in Wirklichkeit jung und lustig – im Film stellt man sie sich eher älter und introvertiert vor. Aber sie ist wirklich authentische Muschelsammlerin. Keine Schauspielerin. Ich hätte sie gerne gefragt, was das für Muscheln sind und ob sie davon leben kann. Aber zwischen all den pseudo-intellektuellen Zuschauerfragen kam mir meine zu profan vor. Zudem hat sich ein unglaublicher Sprechzwang in mir aufgestaut. Ich musste mich erlösen und dann doch noch vor dem Ende der Diskussion den Saal verlassen. Das richtige Leben hatte mich wieder! Sprechende Menschen, hupende Autos und bellende Hunde! Yes! Und dazu das Wissen, einen Film gesehen zu haben, den nur wenig andere kennen und sicher auch nicht viel mehr kennenlernen werden, weil es die Beiträge aus dem Internationalen Forum des Jungen Films – kurz Forum –nur selten ins Kino oder in die Verleihe schaffen. Das gefällt mir an der Berlinale!
SeenInBerlin - 20. Feb, 22:51
Kunstbunker, Reinhardstr. 20, Berlin Mitte
In den 90-er Jahren konnte man mit Werbung noch richtig viel Geld verdienen. Das beste Beispiel dafür ist der Werber Christian Boros, der 1994 mit einer Anzeigenkampagne für VIVA bekannt wurde. Heute pendelt er zwischen Berlin und Wuppertal und ist einer der bekanntesten Sammler zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Zu seinem Besitz gehören um die 600 Kunstwerke, die er bereits mit 18 Jahren zu sammeln begann und die von Wolfgang Tillmans über Damien Hirst bis hin zu Olafur Eliasson und Sarah Lucas reichen, deren Porträt prominent in der Paris Bar hängt. Die Sammlung Boros wächst stetig, die Kunstwerke werden ausgeliehen, eingelagert, und wieder ausgeliehen. Bis Boros 2003 die Gunst der Stunde nutzt und seinen Traum vom Privatmuseum verwirklicht. Boros kauft der Stadt Berlin einen alten Nazibunker in der Reinhardstraße ab, der zwei Gehminuten vom Friedrichsstadtpalast entfernt liegt und 1942 nach dem Plan von Albert Speer gebaut wurde. Von den Nazis als Schutzbunker und nach Kriegsende von der Roten Armee als Gefängnis benutzt, wurde der Bunker in DDR-Zeiten als Lager für Südfrüchte benutzt und daher auch als „ Bananenbunker“ bezeichnet. Nach der Wende diente er der Techno- und Fetisch-Szene als Location für einschlägige Parties mit Darkrooms und wurde zum härtesten Club der Welt erklärt. Heute ist in den Räumen Kunst zu sehen.
Kunstbunker - Impressionen (Quelle: Sammlung-Boros.de)
Mit 80 Räumen auf 5 Stockwerke verteilt und ohne Tageslicht. Der langwierige Umbau von 2003 bis 2008, bei dem zahlreiche Decken und Wände mit einem Diamantschneider entfernt oder versetzt wurden, hat sich jedoch gelohnt und ist eine architektonische Meisterleistung. Viele Bestandteile wie Türen, Geländer, Betonwände oder Böden sind original – maximal sandgestrahlt oder abgeschliffen. Die Kombination mit neuen Elementen, teilweise gestrichenen Wänden und der zeitgenössischen Kunst macht das besondere Flair aus. Die Kunstwerke leben in erster Linie von der besonderen Atmosphäre und der Geschichte, die man bei jedem Schritt durch den Betonklotz spürt. Die Kunst an sich ist, wie meistens, Geschmacksache. Manche Werke wie beispielsweise die riesige, bunt schimmernde Glaskugel von Olafur Eliasson, sind wirklich beeindruckend. Andere wiederum nur schwer bis gar nicht verständlich. Das passt auch zu dem Satz, den Christian Boros über seine Sammlung sagt: er sammle, was er nicht verstehe. Man muss hier auch nicht jedes Werk verstehen, sondern die Atmosphäre aufsaugen und einfach das Gebäude auf sich wirken lassen. Oder auch ein bisschen träumen und sich ausmalen, wie es wohl in Boros‘ Privatgemächern aussieht, die man leider (und aus seiner Sicht Gott sei Dank) nicht besuchen darf. Diese befinden sich nämlich auf dem Dach des Bunkers. Dort hat der Sammler ein Penthouse inklusive Pool und riesiger Terrasse rundherum für sich und seine Familie gebaut: ein Nachbau des Barcelona Pavillons von Mies van der Rohe.
Der Kunstbunker kann nur mit Führung besichtigt werden und hat ausschließlich samstags und sonntags geöffnet. Die Kunst wechselt in unregelmäßigen Abständen. Einlass nur mit Voranmeldung über das Internet: www.sammlung-boros.de . Der Eintritt kostet 10,- Euro, die Wartezeit beträgt ca. 3 Monate. Also: rechtzeitig den Berlin Besuch planen, wer gerne die Kunstsammlung sehen möchte. Es lohnt sich!
SeenInBerlin - 20. Feb, 21:10
Im C/O Berlin, ehemaliges Postfuhramt, Oranienburgerstr. 35/36
Noch bis 28. Februar 2010
Brasilien, Afrika, Indien, Java… Reisen bildet, heißt es ja immer. Das sind Erinnerungen, die einem niemand mehr nehmen kann. Das heißt es ebenfalls. Aber erinnern wir uns tatsächlich ein Leben lang an all die Reise-Erlebnisse? Erinnern wir uns vor allem nicht nur an die Palmen, den weißen Sandstrand und das türkisfarbene Meer? Oder erinnern wir uns auch daran, dass die meisten Familien in diesen Ländern im Jahr so viel verdienen, wie wir mal schnell nebenbei im Duty Free Shop am Flughafen ausgeben oder in einer Woche im Supermarkt einkaufen? Das soll jetzt kein Appell an die Moral werden, denn dass wir daran nicht jeden Tag denken ist klar, und das ist auch gut so. Allerdings würde uns ein bisschen Besinnung auf den unfassbaren Wohlstand, in dem wir hier leben, gar nicht so schlecht tun. Nicht aus Mitleid. Mitleid ist grundsätzlich ein unehrliches Gefühl und steht bei den meisten für „Gott sei Dank bin ich nicht betroffen“. Besser: Mitgefühl im Sinne von sich bewusst machen, wie privilegiert wir sind.
Die perfekte Motivation dafür vermittelt der Fotograf Jonas Bendiksen mit seiner Ausstellung „The Places We Live“ im C/O Berlin. Bendiksen hat Slums bzw. Favelas und deren Bewohner in Caracas, Jakarta, Mumbai und Nairobi fotografiert. Die Aufnahmen sind einzigartig und auf eine ganz besonders authentische Weise präsentiert. Der Ausstellungsraum ist dunkel und in einzelne kleine Zimmer unterteilt, in die man durch einen Vorhang gelangt. Den Weg weisen dem Besucher schummrige bunte Lichterketten an der Decke. Jedes Zimmer hat vier Wände, auf die die Bilder aus den Slums projiziert sind. Dazu Ton – mit Geschichten aus dem Leben der Bewohner. Der Besucher betritt die einzelnen Zimmer und ist sofort mitten im Wohnraum der Bewohner. Paradox ist, dass man dabei dennoch kein beklemmendes Gefühl bekommt. Das Leben ist dort, wie es eben ist. Nicht beschönigt, aber auch nicht abstoßend. Die Leute haben nicht viel zum Leben – aber die Mutter dekoriert dennoch das Zuhause, die Kinder machen Hausaufgaben und die Männer gehen arbeiten. Ein eigener, kleiner Mikrokosmus. Als Besucher ist man eher interessiert, daran teilzuhaben und mehr darüber zu erfahren, als dass man erschrickt oder gar das Weite sucht. Keine Frage - das Klischee von Drogen, Dreck, Bandenkriegen und Gewalt in den Slums ist bei Weitem nicht nur ein Klischee. Aber es ist auch nur eine Seite der Medaille. Jonas Bendiksen zeigt die andere Seite: die Normalität in diesem Leben.
SeenInBerlin - 20. Feb, 21:09
Soviel steht fest: Noch sind Mitte, Prenzlberg & Co das Maß aller Dinge, um an einem hippen Ort in Berlin zu wohnen. Dort sind die Coolen, die Fashionistas, die Designer und all solche, die es werden wollen, zuhause.
Aber sind wir mal ehrlich. Geht man in Mitte aus der Haustür, wird man erst mal von tonnenweise Touristen überrollt – klar gibt’s hier das, was man als Nicht-Berliner unter Berlin versteht: Hinterhöfe, hippe Läden, Clubs, die man von außen niemals als solche erkennen würde, wäre man kein Insider, Second Hand Shops, 60ies Möbel etc. Das ist auch alles wirklich genial – und wer so richtig shoppen will, ist hier absolut richtig aufgehoben – auch all meine Lieblingsläden sind in Mitte… und wer gleichzeitig neben Einkaufen und Essen gehen auch ein bisschen Kultur mitnehmen will, ist in Mitte ebenfalls an der richtigen Adresse: im alten Postfuhramt CIO gibt’s meistens was Aufregendes zu sehen, die Museumsinsel und Nofretete sind gleich um die Ecke. Aber: muss man auch hier wohnen, oder ist es vielleicht auch einfach nur nett, einen Samstagsausflug nach Mitte zu unternehmen? Oder mal unter der Woche einfach zwischendurch schnell zu Muji, wenn das Badesalz leer ist, dann ein leckeres Schnitzel in Lebensmittel Mitte verputzen, und danach wieder nach Hause?
Oder nehmen wir mal den Prenzlberg. In Insiderkreisen auch Spätzlesberg genannt, was nicht unbedingt einem Kompliment gleicht. Woher das kommt? Weil es dort von Schwaben wimmelt. Ganz generell zeichnet sich der Prenzlberg durch eine immense Rate an „Zugereisten“ aus – man sieht zwischen all den Stuttgarter, Düsseldorfer, Münchner oder Hamburger Autokennzeichen nur ganz selten mal ein Berliner Nummernschild hervorblitzen. Oder Herrn Thierse sich vor Passanten verstecken. Dementsprechend hoch sind dort auch die Mietpreise – bekanntlich sind die genannten Neu-Berliner ja nicht von armen Eltern. Die alteingesessenen Berliner, die am Prenzlauer Berg seit Jahrzehnten ihre Wohnung hatten, wurden dafür im Zuge des Ost-Aufbaus aus ihren Häusern vertrieben – keiner konnte sich mehr die Miete leisten. Doch wo sind all diese Berlin geblieben? Marzahn? Neukölln? Oder wohin wurden sie verdrängt? Auch nicht unbedingt das, was man sich erträumt… Aber keine Frage – der Prenzlauer Berg ist nicht grundlos so beliebt, speziell bei Familien: Biomarkt, Grün, Spielplätze, Pärkchen, Cafés und Restaurants… alles, was das Herz begehrt, ist dort zu finden. Aber das hat eben auch seinen Preis.
Und was ist eigentlich mit dem guten alten Westen? Gibt’s den eigentlich noch? Die Antwort ist klar und eindeutig: natürlich gibt’s den noch. Und wie!
Nicht umsonst wohnen hier eine ganze Reihe an Kunstschaffenden, Schauspielern, Regisseuren und weiteren bekannten Persönlichkeiten. Der Westen ist straight und ehrlich. Und er kommt wieder! Zwar gehen Sekretärinnen geschäftig zur Arbeit und der Nachbar führt seinen Dackel spazieren, aber so ganz nebenbei auf dem Weg zum Bäcker begegnet man nicht selten auch mal Jürgen Vogel oder Heike Makatsch. Was will man mehr? Klar will man mehr – und man kriegt auch mehr. Zu Fuß in die Deutsche Oper die großen Stars anhören oder Malakov ansehen. Nach der Vorstellung im erstklassigen Restaurant Deutsche Oper dinieren. Anschließend ein Drink in der Paris Bar mit Otto Sander oder Markus Lüpertz am Nebentisch. Den Ku’Damm entlang flanieren und leckere Austern im KaDeWe schlemmen ist wieder absolut en vogue. Oder Samstagnachmittag im Rogacki eine Königin-Pastete, irgendwie ein typisches 80-er Jahre Essen, mit einem Glas Champagner. Oder einer der besten Mojitos, die ich in Berlin je hatte, im Gainsbourg am Savignyplatz schlürfen. Zwar von einem Kellner in Pullunder und Hemd serviert, aber wahnsinnig lecker.
Und wer mal keine Lust mehr auf das Stadtleben hat, packt einfach sein Fahrrad und ist in null Komma nix im Grünen… eine halbe Stunde bis nach Grunewald oder Dahlem, oder ebenso kurz bis zum Haus am Waldsee in der Argentinischen Allee – dort gibt’s sogar noch dazu Kultur. Und wenn dann endlich mal wieder Sommer ist, lohnen sich auch mal 45 Radl-Minuten bis zum Strandbad Wannsee. Da ist doch die Welt wieder in Ordnung. Vor allem auch für Weltenbummler – eine Viertelstunde bis zum Flughafen Tegel, davon können Münchner nur träumen.
Also liebe Neu-Berliner, zukünftige Berliner oder Berlin Besucher – wagt einen Gang in den guten alten Westen. Und schaut vorher mal hier rein – vielleicht ist ja auch für Euch der ein oder andere Tipp mit dabei.
SeenInBerlin - 20. Feb, 21:08