Es gibt in Berlin so viele Thai- und indische Restaurants wie man es aus kaum einer anderen Stadt kennt. Egal, wo man sich befindet, der nächste asiatische Take-away ist nicht weit. Ob man die leckere Tom Yam Gung vor Ort isst oder mit nach Hause nimmt, bleibt jedem selbst überlassen – Hauptsache schnell, gut und günstig. Und am besten gleich nebenan, damit man die Jogginghose nicht erst ausziehen muss. Wer in Schöneberg wohnt oder sich öfter in der Gegend rumtreibt, kommt in den Genuss einer besonders leckeren Variante: Das Quán, ein kleines vietnamesisches Restaurant gleich links neben dem Café M in der Goltzstraße.
Das Essen ist mega lecker – und um Einiges besser als in den meisten vergleichbaren Lokalen in der Gegend, die vielleicht optisch mehr hermachen, aber kulinarisch dem Quan keinesfalls das Wasser reichen können. Besonders zu empfehlen sind die Nr. 18E mit rotem Curry und knuspriger Ente.
Oder aber S1 mit mariniertem Hühnchen und Zitronengras, serviert in einer heißen dampfenden Pfanne. Und wer’s lieber bodenständig mag, nimmt die Nr. 30: Pad Thai mit Rindfleisch, Hühnchen oder vegetarisch. Inklusive einem Singha Bier liegt man immer noch unter zehn Euro pro Person. Das ist absolut in Ordnung. Auch wenn der Begriff gutes Preis-Leistungsverhältnis irgendwie ein Unwort ist: hier stimmt es. Sitzen kann man ebenfalls gemütlich. Entweder bei schönem Wetter draußen auf dem Gehsteig.
Oder drinnen, mit authentischem Altar und Räucherstäbchen, einer blauen Lichterkette über der Bar sowie alten Bildern und Schriftzeichen aus Vietnam an den Wänden. Wie man es sich eben vorstellt.
Last but not least, und damit steht und fällt jeder Restaurantbesuch, ist das Team super. Ein Familienbetrieb mit mehreren Generationen: ein mittelalterlicher Herr sitzt neben dem Altar und schnitzt kunstvoll Karotten. Seine Frau schenkt ein, nimmt Bestellungen auf und serviert. Sie wird unterstützt vom Sohn, der zwar manchmal mit einem etwas ungewöhnlichen Klamottengeschmack glänzt, aber super freundlich und irgendwie lustig ist. Und in der Küche scheint es, es würden Mainzelmännchen wuseln. Wer also Lust auf Asiatisch hat und auf ein ungezwungenes, leckeres Essen, sollte unbedingt das Quán austesten. Guten Appetit!
SeenInBerlin - 22. Apr, 07:00
Durch die Welt flanieren und besondere Momente mit der Kamera festhalten. Und vor allem: genau hinsehen, die Kleinigkeiten entdecken. Das beabsichtigte der im letzten Jahr verstorbene Berliner Fotograf Roger Melis mit seinen Bildern, die noch bis 2. Mai im C/O in Berlin zu sehen sind. Melis ist bekannt für Porträts von Schriftstellern oder bildenden Künstlern, Landschaftsaufnahmen und Modefotografien. Besonders eindrucksvoll sind seine Milieustudien aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, vor allem aus dem Arbeiterbereich.

Hierzu zählen beispielsweise die beiden Kohlenträger in der Rauchpause oder ältere Herren, die den Pferdewetten frönen, einer in den 50-er und 60-er Jahren sehr verbreitete Freizeitbeschäftigung. Man ging entweder sonntags live zum Pferderennen und setzte dort auf seinen Favoriten: mit edlem Anzug, Kleid und Hut, versteht sich. Schließlich handelt es sich um ein gesellschaftliches Ereignis, um Sehen und Gesehen Werden. Oder man ging in der Stadt ins Wettbüro: ein Treffpunkt unter Freunden, speziell für die Herren der Bevölkerung.
Heute lassen sich zum Thema (Pferde-)Wetten oder Glücksspiele in Berlin ebenfalls Milieustudien betreiben – allerdings in einem anderen Milieu, nämlich dem, das man landläufig unter „Milieu“ versteht: Spielhallen und Wettbüros, fest in osteuropäischer Hand. Wenn man durch die Straßen flaniert, speziell im Westen, stechen einem eine Reihe leer stehender Läden ins Auge. Viele Ladenbesitzer können sich die Mieten nicht mehr leisten und ziehen um oder müssen gar ihr Geschäft aufgeben. Ob der alteingesessene Möbelladen, die Musikalienhandlung oder der Trödelhändler – was bedeuten schon jahrelange Tradition und Qualität, wenn man als Hauseigentümer wesentlich höhere Mieteinnahmen mit Casinobesitzern bekommen kann? So finden die Läden nach und nach neue Betreiber, die daraus so spannende Etablissements wie Automatencasinos oder Wettbüros machen, die auch ähnlich spannendes Publikum anziehen.

Nur seltsam, dass sich die neuen Besitzer die teuren Westberliner Mieten leisten können? Naja, bestimmte Dinge hinterfragt man besser nicht. Vielleicht ist dies ja auch der neue Trend? Gott sei Dank halten Trends meistens nicht lange an. Und wer in der Zwischenzeit doch lieber ein bisschen in alten Zeiten schwelgen möchte, sollte sich die Berliner Impressionen aus dem Blickwinkel von Roger Melis auf keinen Fall entgehen lassen.
Roger Melis, Chronist und Flaneur: Retrospektive
Bis 2. Mai 2010 im C/O Berlin, Oranienburgerstr. 35/36, 10117 Berlin Mitte, www.co-berlin.com
SeenInBerlin - 20. Apr, 08:30
Wie wär’s mal statt der Tiergarten-Runde mit einer Stippvisite in die Gegend rund um die Simon-Dach-/Revaler-Straße?

Mit der U1 bis zur Endstation Warschauer Straße – und man ist mitten drin: runtergekommene Fabrikgebäude, Cafés soweit das Auge reicht, und alternative Platten- oder Second Hand-Läden. Das alleine ist schon einen Besuch wert, aber die eigentliche Attraktion ist der Weg dorthin. Wo kein Graffiti ist, kleben Plakate, Kleinanzeigen und esoterische Sprüche. Überall. Durch die Straßen schlendern ist wie den Tipp oder Zitty durchblättern: Lady Gaga in Berlin, die lange Opernnacht, Helfe beim Umzug, Biete Klavierunterricht, Akademikerpärchen sucht 3-Zimmer Wohnung.

Digitale Hightech Screens? Fehlanzeige. Internet? Ebay? Von wegen. Hier klebt alles an Hauswänden, Mülleimern, Briefkästen, Glas- oder Altkleidercontainern.

Möchte man seinen Unmut über irgendetwas äußern oder ist der geliebte Mops entlaufen, wird ein Zettel an den nächsten vermeintlich freien Platz geklebt. Sucht man einen neuen Besitzer für den alten Fernseher, stellt man ihn einfach unten auf den Gehsteig.

Und dies macht sicherlich auch das gewisse Etwas dieser Gegend aus. Aber keine Frage, natürlich sitzen auch hier alle mit ihren Macs im Café und facebooken, twittern oder ebay-en, was das Zeug hält. Ist ja auch eine Art Zettelnetzwerk. Nur eben virtuell.
SeenInBerlin - 28. Mär, 11:51
Jetzt, wo es endlich Frühling ist, genau das Richtige: Wer nicht nur Sonne, sondern auch ein bisschen italienischen Flair genießen möchte, ist im Pizza a Pezzi bestens aufgehoben!
Wörtlich übersetzt ‚Pizza in Stücken‘ ist das Pizza a Pezzi die perfekte Lösung für den Hunger zwischendurch oder um eine Grundlage für die nächtliche Bar-Tour zu schaffen – und das bei original italienischem Flair mitten in Kreuzberg. Das Lokal ist mini, mit ein paar Tischchen, zwei Boards am Fenster mit Barhockern und Selfservice. Es wirkt alles ein bisschen gebastelt, chaotisch und unaufgeräumt – italienisch eben. Aber dafür schmeckt es auch wie in Italien: von den Pizzastücken über Chinotto und Orangina bis zu Peroni Bier und echtem italienischen Espresso – tutto molto buono.

Cappuccino gibt’s keinen, was aber nicht weiter schlimm ist, der italienische „Pranzo“ (Mittagessen) oder die „Cena“ (Abendessen) sind auch so ein Vergnügen – und das bei nur drei oder vier Euro für ein Stück Pizza, ein Getränk und einen Espresso. Und auch wenn's regnet: kurz reinhüpfen, einen Espresso bestellen und - im Trockenen - auf den nächsten Bus warten, der M29 hält direkt vor der Tür.
Pizza a Pezzi, Oranienstraße 176, 10999 Berlin (Kreuzberg)
U-Bhf. Kottbusser Tor
Öffnungszeiten: tgl. 12-24 Uhr durchgehend
SeenInBerlin - 25. Mär, 14:23
In Berlin zu leben, ist definitiv ein Privileg. Das macht man sich spätestens am Sonntagmorgen bewusst, wenn man sich statt für Brunchen, Joggen oder Faulenzen für einen vormittäglichen, elektronischen „Thé dansant“ im Berghain entschieden hat. Berghain? Ja, ganz recht: das Berghain, der laut DJMag beste Club der Welt.
Berghain, Berlin

(Quelle: tagesspiegel.de) (Quelle: berlinsetter.com)
Elektronische Musik vom Feinsten, frisch geduscht und ausgeschlafen, am Sonntagmorgen. Meistens ohne bis maximal kurzes Anstehen – ein unschätzbarer Vorteil, wer die Schlangen von Samstagabend kennt. Am besten, man geht hoch in die vor kurzem umgebaute Panorama Bar. Die alte Kunst an der Wand, eine riesige Vagina, ist inzwischen durch einen männlichen Po ersetzt. Die DJs sind gleich gut geblieben, die Leute ebenso. Die ersten Minuten muss man sich erst mal Akklimatisieren: Man besorgt sich einen Drink, übrigens zu absolut fairen Preisen, um sich dann aber auch schon ins Getümmel zu den Ausgemergelten, die schon die ganze Nacht durchtanzen, Männern in Feinstrumpfhosen, Nackten oder auch ganz normalen Clubgängern, zu stürzen. Und schon kann man sich nicht mehr vorstellen, jemals die Tanzfläche wieder zu verlassen. Je später der Vormittag, umso mehr gut riechende Menschen stoßen dazu. Und gerne trifft man auch mal jemanden, den man sonst nur im schicken Anzug kennt. Das muss aber nicht peinlich sein, denn so schnell wie in dieser illustren Elektro-Runde ist kein Eis im schnöden Business Alltag gebrochen. Womit mal wieder bewiesen wäre, dass die wahren Geschäfte beim Bier, Golfen, oder eben beim Tanzen gemacht werden. Der ultimative Tipp also für alle, die nach einer aufregenden Sonntags-Beschäftigung suchen und grad keine Zeit haben, nach Zürich, London oder New York zu fliegen. Denn das sind die einzigen Städte, deren Clubs dem Berghain knapp Paroli bieten können.
Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin – Friedrichshain, www.berghain.de
SeenInBerlin - 12. Mär, 20:03
Wie zu Abi-Zeiten, nur nicht mit dem eigenen Auto. Knutschen, Süßigkeiten und Getränke vom Kiosk inbegriffen: Noch bis 14. März präsentiert der Künstler Phil Collins in der temporären Kunsthalle Berlin am Schlossplatz sein Indoor Autokino. Über 100 Filme werden seit Anfang Februar dort gezeigt, vom Experimentalfilm über Künstlervideos bis hin zu 35 mm Klassikern. Und jeder Besucher hat seinen persönlichen Logenplatz: in einem der in der Halle geparkten Gebrauchtwagen. Die Sitzplätze sind limitiert und zum Großteil ausgebucht. Wer noch zum Zug, oder besser zum Auto, kommen will, sollte schnell sein, und sich vor allem voranmelden. Mit dem Retro Autokino hat Collins zwar nichts noch nie Dagewesenes geschaffen, aber eine witzige Idee ist es allemal.
"Autokino" von Phil Collins (Quelle: Temporäre Kunsthalle)
Wobei die temporäre Kunsthalle jederzeit einen Besuch wert ist, unabhängig von der Ausstellung. Auch wenn man nur den Bookshop durchstöbert. Die Halle ist ein Projekt für zwei Jahre und privat finanziert. Der Innenraum bietet 1.500 m2 Platz für Ausstellungen und die Fassade wird regelmäßig für verschiedene Künstlerprojekte genutzt. Wie zum Beispiel im Moment von Bettina Pousttchi, die mit einer eindrucksvollen schwarz-weißen Fotoinstallation über die komplette Fassade der Kunsthalle ein Abbild des Palasts der Republik geschaffen hat: Für den Besucher eine Art Déjà-Vu, nachdem vor nicht allzu langer Zeit an dieser Stelle noch der echte Palast der Republik stand, der ja nun leider, leider abgerissen wurde. Aber das ist wieder ein anderes Kapitel…
"Echo" von Bettina Pousttchi (Quelle: Temporäre Kunsthalle)
Phil Collins, Autokino: bis Sonntag, 14. März 2010
Bettina Pousttchi, Echo: bis Mittwoch, 31. März 2010
Temporäre Kunsthalle Berlin, Schlossplatz, 10178 Berlin, http://www.kunsthalle-berlin.com
SeenInBerlin - 10. Mär, 23:13
Utopien sind da, um etwas zu verändern, zu erneuern. Jeder Mensch hat seine eigene kleine Wunschvorstellung, seine Utopie. Manche belassen es beim Wunsch, manche möchten ihn umsetzen. Sie wollen etwas verändern. Schritt für Schritt ihr Ziel erreichen – politisch, kulturell, gesellschaftlich. Und dann gibt es noch die Idee, Utopien als Inspiration für Kunst zu nutzen, was eine Reihe an hochkarätigen Künstlern wie Mondrian, Kandinski oder William Morris getan haben und das Deutsche Guggenheim noch bis Sonntag, 11. April 2010, in seiner Ausstellung ‚Utopia Matters‘ zeigt. Im Mittelpunkt stehen Werke von Künstlerkollektiven wie den Nazarenern, Les Primitifs, Präraffaeliten, der Cornish Art Colony sowie der britischen Arts and Crafts Bewegung, dem Konstruktivismus, dem Neoimpressionismus oder auch dem Bauhaus. Die Zeitspanne reicht von 1800 bis 1933, als das Berliner Bauhaus von den Nazis geschlossen wurde. Alleine einen Besuch wert sind die Werke von Alexander Rodchenko, speziell sein weltbekanntes Porträt von Lilya Brik (1924), das auch eine Reihe an späteren Werken beeinflusst hat inklusive eines Plattencovers der Indie-Rocker Franz Ferdinand.

Links: Cover "You Could Have It So Much Better" von Franz Ferdinand (Quelle: Amazon)
Rechts:"Vorlage": Alexander Rodchenko, Lilya Brik Portrait, 1924 (Quelle: 3:AM Magazine)
‚Utopia Matters‘ passt perfekt nach Berlin. Wer seine Utopien umsetzen will, kommt in die Hauptstadt, wo alles möglich ist, die Mieten günstig und die Leute offen sind. Und das sind nicht nur Künstler, Musiker oder Schauspieler. Bestes Beispiel für die Verwirklichung seiner Utopien ist Heinz Gindullis alias Cookie. Er wollte die Berliner Clubszene revolutionieren. Und er hat es geschafft. Der gebürtige Londoner ist eine Legende im Berliner Nachtleben und nutzt seit Anfang der Neunziger das Potenzial leerstehender Räume oder sonstiger heruntergekommener Verschläge in Mitte, um daraus die coolsten Clubs der Stadt zu machen. Zum Beispiel das Cookies, das regelmäßig die Location wechselt und derzeit in der Behrenstraße zu finden ist. Perfekt für Samstagabend nach einer ausführlichen Shopping- und vielleicht Kultur-Session in Mitte.
'Utopia Matters': 23.1. bis 11.4.2010 im Deutschen Guggenheim, Unter den Linden 13/15, 10117 Berlin
SeenInBerlin - 6. Mär, 23:14
Glamour, Glitzer, Stars und Sternchen, Leonardo di Caprio, Martin Scorsese und viele mehr live in Berlin auf dem roten Teppich. Das ist die Berlinale, und so lieben wir sie. Aber das ist nur ein Teil der Berliner Filmfestspiele. Es gibt auch einen weniger glamourösen, ruhigeren Teil. Und für diesen braucht man nicht immer viele Worte – wie im richtigen Leben. Aber ganz ohne Worte? Und nicht im ironischen Sinne, sondern tatsächlich ohne einen einzigen Dialog, eineinhalb Stunden lang? Ja, liebe Kinogänger, das erwartet Euch beim Berlinale Forums-Beitrag „Double Tide“ von der Amerikanerin Sharon Lockhart, die sich, wie auch in ihren drei vorherigen Filmen, mit dem Thema „Arbeit“ beschäftigt. Der Inhalt ihres aktuellen Streifens ist schnell erzählt: Eine Muschelsammlerin watet bei Ebbe durchs Watt, zieht ihren schweren Arbeitskarren hinter sich her, und sammelt Muscheln. 45 Minuten lang morgens bei Sonnenaufgang und 45 Minuten lang abends bei Sonnenuntergang. Ein Gesicht erkennt man nicht. Die Arbeit scheint wirklich anstrengend zu sein: für jede Muschel muss sich die Sammlerin bücken, ihren Arm ins Watt bohren, und mit einem schmatzenden Geräusch die Muschel schnappen und in den Korb legen. Währenddessen verändern sich die Lichtverhältnisse, die Frau schleppt und das Watt schmatzt und sie schleppt und es schmatzt. Als Highlight läuft plötzlich ein Wasservogel ins Bild und die Vögel zwitschern.
Double Tide (Quelle: berlinale.de)
Es dauert eine beträchtliche Weile, um sich mit dieser Atmosphäre anzufreunden. Man rutscht auf dem Kinosessel hin und her, schwankt zwischen Kino verlassen und Film zu Ende schauen. Aber wer Sitzfleisch bewiesen hat, wird belohnt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem der Film plötzlich etwas Beruhigendes, ja Romantisches hat. Ein bisschen wie eine Kaminfeuer DVD. Man schaltet ab vom hektischen Alltag und lässt sich plötzlich auf das ein, was da auf der Leinwand passiert. Man entwickelt von Minute zu Minute mehr Liebe fürs Detail. Man sieht, wie sich die Bäume im Licht verändern; man nimmt Tropfen wahr, die in Pfützen fallen und Kreise ziehen. Und kaum hat man sich darin verloren und die Hektik des Alltags vergessen, verlässt die Frau das Bild, als ob sie aus dem Rahmen eines Gemäldes einfach rauslaufen würde. Dann ist alles dunkel. Zaghaftes Klatschen, wie es bei den Berlinale Vorstellungen üblich ist.
Es fühlt sich an, als wäre man aus einem Traum aufgewacht. Aber es war kein Traum. Und das Kino war sogar noch gefüllt. Nur vereinzelt haben Besucher den Saal verlassen. Die meisten warten tatsächlich noch gespannt auf die Regisseurin und die Darstellerin, die im Anschluss an die Vorführung ein öffentliches Interview geben sowie für Zuschauer-Fragen zur Verfügung stehen, wie es bei den Berlinale Aufführungen Usus ist. Die Muschelsammlerin ist in Wirklichkeit jung und lustig – im Film stellt man sie sich eher älter und introvertiert vor. Aber sie ist wirklich authentische Muschelsammlerin. Keine Schauspielerin. Ich hätte sie gerne gefragt, was das für Muscheln sind und ob sie davon leben kann. Aber zwischen all den pseudo-intellektuellen Zuschauerfragen kam mir meine zu profan vor. Zudem hat sich ein unglaublicher Sprechzwang in mir aufgestaut. Ich musste mich erlösen und dann doch noch vor dem Ende der Diskussion den Saal verlassen. Das richtige Leben hatte mich wieder! Sprechende Menschen, hupende Autos und bellende Hunde! Yes! Und dazu das Wissen, einen Film gesehen zu haben, den nur wenig andere kennen und sicher auch nicht viel mehr kennenlernen werden, weil es die Beiträge aus dem Internationalen Forum des Jungen Films – kurz Forum –nur selten ins Kino oder in die Verleihe schaffen. Das gefällt mir an der Berlinale!
SeenInBerlin - 20. Feb, 22:51
Kunstbunker, Reinhardstr. 20, Berlin Mitte
In den 90-er Jahren konnte man mit Werbung noch richtig viel Geld verdienen. Das beste Beispiel dafür ist der Werber Christian Boros, der 1994 mit einer Anzeigenkampagne für VIVA bekannt wurde. Heute pendelt er zwischen Berlin und Wuppertal und ist einer der bekanntesten Sammler zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Zu seinem Besitz gehören um die 600 Kunstwerke, die er bereits mit 18 Jahren zu sammeln begann und die von Wolfgang Tillmans über Damien Hirst bis hin zu Olafur Eliasson und Sarah Lucas reichen, deren Porträt prominent in der Paris Bar hängt. Die Sammlung Boros wächst stetig, die Kunstwerke werden ausgeliehen, eingelagert, und wieder ausgeliehen. Bis Boros 2003 die Gunst der Stunde nutzt und seinen Traum vom Privatmuseum verwirklicht. Boros kauft der Stadt Berlin einen alten Nazibunker in der Reinhardstraße ab, der zwei Gehminuten vom Friedrichsstadtpalast entfernt liegt und 1942 nach dem Plan von Albert Speer gebaut wurde. Von den Nazis als Schutzbunker und nach Kriegsende von der Roten Armee als Gefängnis benutzt, wurde der Bunker in DDR-Zeiten als Lager für Südfrüchte benutzt und daher auch als „ Bananenbunker“ bezeichnet. Nach der Wende diente er der Techno- und Fetisch-Szene als Location für einschlägige Parties mit Darkrooms und wurde zum härtesten Club der Welt erklärt. Heute ist in den Räumen Kunst zu sehen.
Kunstbunker - Impressionen (Quelle: Sammlung-Boros.de)
Mit 80 Räumen auf 5 Stockwerke verteilt und ohne Tageslicht. Der langwierige Umbau von 2003 bis 2008, bei dem zahlreiche Decken und Wände mit einem Diamantschneider entfernt oder versetzt wurden, hat sich jedoch gelohnt und ist eine architektonische Meisterleistung. Viele Bestandteile wie Türen, Geländer, Betonwände oder Böden sind original – maximal sandgestrahlt oder abgeschliffen. Die Kombination mit neuen Elementen, teilweise gestrichenen Wänden und der zeitgenössischen Kunst macht das besondere Flair aus. Die Kunstwerke leben in erster Linie von der besonderen Atmosphäre und der Geschichte, die man bei jedem Schritt durch den Betonklotz spürt. Die Kunst an sich ist, wie meistens, Geschmacksache. Manche Werke wie beispielsweise die riesige, bunt schimmernde Glaskugel von Olafur Eliasson, sind wirklich beeindruckend. Andere wiederum nur schwer bis gar nicht verständlich. Das passt auch zu dem Satz, den Christian Boros über seine Sammlung sagt: er sammle, was er nicht verstehe. Man muss hier auch nicht jedes Werk verstehen, sondern die Atmosphäre aufsaugen und einfach das Gebäude auf sich wirken lassen. Oder auch ein bisschen träumen und sich ausmalen, wie es wohl in Boros‘ Privatgemächern aussieht, die man leider (und aus seiner Sicht Gott sei Dank) nicht besuchen darf. Diese befinden sich nämlich auf dem Dach des Bunkers. Dort hat der Sammler ein Penthouse inklusive Pool und riesiger Terrasse rundherum für sich und seine Familie gebaut: ein Nachbau des Barcelona Pavillons von Mies van der Rohe.
Der Kunstbunker kann nur mit Führung besichtigt werden und hat ausschließlich samstags und sonntags geöffnet. Die Kunst wechselt in unregelmäßigen Abständen. Einlass nur mit Voranmeldung über das Internet: www.sammlung-boros.de . Der Eintritt kostet 10,- Euro, die Wartezeit beträgt ca. 3 Monate. Also: rechtzeitig den Berlin Besuch planen, wer gerne die Kunstsammlung sehen möchte. Es lohnt sich!
SeenInBerlin - 20. Feb, 21:10
Im C/O Berlin, ehemaliges Postfuhramt, Oranienburgerstr. 35/36
Noch bis 28. Februar 2010
Brasilien, Afrika, Indien, Java… Reisen bildet, heißt es ja immer. Das sind Erinnerungen, die einem niemand mehr nehmen kann. Das heißt es ebenfalls. Aber erinnern wir uns tatsächlich ein Leben lang an all die Reise-Erlebnisse? Erinnern wir uns vor allem nicht nur an die Palmen, den weißen Sandstrand und das türkisfarbene Meer? Oder erinnern wir uns auch daran, dass die meisten Familien in diesen Ländern im Jahr so viel verdienen, wie wir mal schnell nebenbei im Duty Free Shop am Flughafen ausgeben oder in einer Woche im Supermarkt einkaufen? Das soll jetzt kein Appell an die Moral werden, denn dass wir daran nicht jeden Tag denken ist klar, und das ist auch gut so. Allerdings würde uns ein bisschen Besinnung auf den unfassbaren Wohlstand, in dem wir hier leben, gar nicht so schlecht tun. Nicht aus Mitleid. Mitleid ist grundsätzlich ein unehrliches Gefühl und steht bei den meisten für „Gott sei Dank bin ich nicht betroffen“. Besser: Mitgefühl im Sinne von sich bewusst machen, wie privilegiert wir sind.
Die perfekte Motivation dafür vermittelt der Fotograf Jonas Bendiksen mit seiner Ausstellung „The Places We Live“ im C/O Berlin. Bendiksen hat Slums bzw. Favelas und deren Bewohner in Caracas, Jakarta, Mumbai und Nairobi fotografiert. Die Aufnahmen sind einzigartig und auf eine ganz besonders authentische Weise präsentiert. Der Ausstellungsraum ist dunkel und in einzelne kleine Zimmer unterteilt, in die man durch einen Vorhang gelangt. Den Weg weisen dem Besucher schummrige bunte Lichterketten an der Decke. Jedes Zimmer hat vier Wände, auf die die Bilder aus den Slums projiziert sind. Dazu Ton – mit Geschichten aus dem Leben der Bewohner. Der Besucher betritt die einzelnen Zimmer und ist sofort mitten im Wohnraum der Bewohner. Paradox ist, dass man dabei dennoch kein beklemmendes Gefühl bekommt. Das Leben ist dort, wie es eben ist. Nicht beschönigt, aber auch nicht abstoßend. Die Leute haben nicht viel zum Leben – aber die Mutter dekoriert dennoch das Zuhause, die Kinder machen Hausaufgaben und die Männer gehen arbeiten. Ein eigener, kleiner Mikrokosmus. Als Besucher ist man eher interessiert, daran teilzuhaben und mehr darüber zu erfahren, als dass man erschrickt oder gar das Weite sucht. Keine Frage - das Klischee von Drogen, Dreck, Bandenkriegen und Gewalt in den Slums ist bei Weitem nicht nur ein Klischee. Aber es ist auch nur eine Seite der Medaille. Jonas Bendiksen zeigt die andere Seite: die Normalität in diesem Leben.
SeenInBerlin - 20. Feb, 21:09
Soviel steht fest: Noch sind Mitte, Prenzlberg & Co das Maß aller Dinge, um an einem hippen Ort in Berlin zu wohnen. Dort sind die Coolen, die Fashionistas, die Designer und all solche, die es werden wollen, zuhause.
Aber sind wir mal ehrlich. Geht man in Mitte aus der Haustür, wird man erst mal von tonnenweise Touristen überrollt – klar gibt’s hier das, was man als Nicht-Berliner unter Berlin versteht: Hinterhöfe, hippe Läden, Clubs, die man von außen niemals als solche erkennen würde, wäre man kein Insider, Second Hand Shops, 60ies Möbel etc. Das ist auch alles wirklich genial – und wer so richtig shoppen will, ist hier absolut richtig aufgehoben – auch all meine Lieblingsläden sind in Mitte… und wer gleichzeitig neben Einkaufen und Essen gehen auch ein bisschen Kultur mitnehmen will, ist in Mitte ebenfalls an der richtigen Adresse: im alten Postfuhramt CIO gibt’s meistens was Aufregendes zu sehen, die Museumsinsel und Nofretete sind gleich um die Ecke. Aber: muss man auch hier wohnen, oder ist es vielleicht auch einfach nur nett, einen Samstagsausflug nach Mitte zu unternehmen? Oder mal unter der Woche einfach zwischendurch schnell zu Muji, wenn das Badesalz leer ist, dann ein leckeres Schnitzel in Lebensmittel Mitte verputzen, und danach wieder nach Hause?
Oder nehmen wir mal den Prenzlberg. In Insiderkreisen auch Spätzlesberg genannt, was nicht unbedingt einem Kompliment gleicht. Woher das kommt? Weil es dort von Schwaben wimmelt. Ganz generell zeichnet sich der Prenzlberg durch eine immense Rate an „Zugereisten“ aus – man sieht zwischen all den Stuttgarter, Düsseldorfer, Münchner oder Hamburger Autokennzeichen nur ganz selten mal ein Berliner Nummernschild hervorblitzen. Oder Herrn Thierse sich vor Passanten verstecken. Dementsprechend hoch sind dort auch die Mietpreise – bekanntlich sind die genannten Neu-Berliner ja nicht von armen Eltern. Die alteingesessenen Berliner, die am Prenzlauer Berg seit Jahrzehnten ihre Wohnung hatten, wurden dafür im Zuge des Ost-Aufbaus aus ihren Häusern vertrieben – keiner konnte sich mehr die Miete leisten. Doch wo sind all diese Berlin geblieben? Marzahn? Neukölln? Oder wohin wurden sie verdrängt? Auch nicht unbedingt das, was man sich erträumt… Aber keine Frage – der Prenzlauer Berg ist nicht grundlos so beliebt, speziell bei Familien: Biomarkt, Grün, Spielplätze, Pärkchen, Cafés und Restaurants… alles, was das Herz begehrt, ist dort zu finden. Aber das hat eben auch seinen Preis.
Und was ist eigentlich mit dem guten alten Westen? Gibt’s den eigentlich noch? Die Antwort ist klar und eindeutig: natürlich gibt’s den noch. Und wie!
Nicht umsonst wohnen hier eine ganze Reihe an Kunstschaffenden, Schauspielern, Regisseuren und weiteren bekannten Persönlichkeiten. Der Westen ist straight und ehrlich. Und er kommt wieder! Zwar gehen Sekretärinnen geschäftig zur Arbeit und der Nachbar führt seinen Dackel spazieren, aber so ganz nebenbei auf dem Weg zum Bäcker begegnet man nicht selten auch mal Jürgen Vogel oder Heike Makatsch. Was will man mehr? Klar will man mehr – und man kriegt auch mehr. Zu Fuß in die Deutsche Oper die großen Stars anhören oder Malakov ansehen. Nach der Vorstellung im erstklassigen Restaurant Deutsche Oper dinieren. Anschließend ein Drink in der Paris Bar mit Otto Sander oder Markus Lüpertz am Nebentisch. Den Ku’Damm entlang flanieren und leckere Austern im KaDeWe schlemmen ist wieder absolut en vogue. Oder Samstagnachmittag im Rogacki eine Königin-Pastete, irgendwie ein typisches 80-er Jahre Essen, mit einem Glas Champagner. Oder einer der besten Mojitos, die ich in Berlin je hatte, im Gainsbourg am Savignyplatz schlürfen. Zwar von einem Kellner in Pullunder und Hemd serviert, aber wahnsinnig lecker.
Und wer mal keine Lust mehr auf das Stadtleben hat, packt einfach sein Fahrrad und ist in null Komma nix im Grünen… eine halbe Stunde bis nach Grunewald oder Dahlem, oder ebenso kurz bis zum Haus am Waldsee in der Argentinischen Allee – dort gibt’s sogar noch dazu Kultur. Und wenn dann endlich mal wieder Sommer ist, lohnen sich auch mal 45 Radl-Minuten bis zum Strandbad Wannsee. Da ist doch die Welt wieder in Ordnung. Vor allem auch für Weltenbummler – eine Viertelstunde bis zum Flughafen Tegel, davon können Münchner nur träumen.
Also liebe Neu-Berliner, zukünftige Berliner oder Berlin Besucher – wagt einen Gang in den guten alten Westen. Und schaut vorher mal hier rein – vielleicht ist ja auch für Euch der ein oder andere Tipp mit dabei.
SeenInBerlin - 20. Feb, 21:08